Open Source und die Auswirkungen auf die europäische Wirtschaft
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Im Auftrag der Europäischen Kommission haben das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) in Karlsruhe und das OpenForum Europe (OFE) untersucht, welche Auswirkungen offene Hard- und Software auf die Wirtschaft haben. In ihrer Studie, die Anfang Februar beim „Open Source Policy Summit“ der EU vorgestellt wurde, kommen die Forscher zu dem Ergebnis, dass die wirtschaftliche Bedeutung offener Projekte enorm ist. 2018 – aus diesem Jahr stammen die ausgewerteten Zahlen – erwirtschaftete Open Source in der Europäischen Union je nach Blickwinkel zwischen 65 und 95 Milliarden Euro. Zu berücksichtigen ist hierbei, dass Großbritannien damals noch zur EU gehörte.
Die genannten 65 Milliarden stellen den Wert der etwa 30 Millionen Open-Source-Beiträge aus den EU-Mitgliedsstaaten dar. Die 95 Milliarden berücksichtigen auch die ökonomische Bedeutung derer, die die Beiträge erstellt haben. Professor Knut Blind, der beim ISO das Geschäftsfeld Innovation und Regulierung leitet, machte bei der Präsentation deutlich, es handele sich durchweg um konservative Annahmen. Man habe sich also stets an den niedrigeren Zahlen orientiert.
Deutschland spielt in der ersten Liga
Aus dem Bereich der EU seien 2018 die meisten Beiträge oder „Commits“ zu Plattformen wie GitHub in Deutschland und Großbritannien erstellt worden. In Deutschland schätzt man den Wert von Open Source auf jährlich etwa 15 Milliarden Euro – bei einem europäischen Bruttoinlandsprodukt von ungefähr 15,9 Billionen Euro im Jahr 2018. So heißt es denn auch in einer Zusammenfassung der Studie, die EU ziehe aus der Open-Source-Entwicklung „erheblichen Nutzen“.
Die Berechnungen der Forscher
Die Anzahl der Mitarbeiter an Open-Source-Projekten wird mit mindestens 260.000 angesetzt. Dies entspricht acht Prozent derer, die in der EU im Bereich Computerprogrammierung beschäftigt sind. Umgerechnet bräuchte man 16.000 in Vollzeit arbeitende Entwickler, um die gleiche Menge an Quelltext zu generieren.
Weiter heißt es in der Untersuchung, durchschnittlich wende ein Mitarbeiter an Open-Source-Projekten etwa ein Zehntel seiner Arbeitszeit für die Entwicklung von freier Hard- und Software. Somit würde ein halbes Prozent aller EU-Beschäftigten, die im Bereich Programmierung tätig sind, für die Mitwirkung an Open-Source-Projekten eingesetzt.
Im Berichtsjahr 2018 lagen die Personalkosten in den EU-Mitgliedsstaaten in dem Bereich bei fast 15 Milliarden Euro. Insgesamt entsprechen die mehr als 30 Millionen Commits somit einer Personalinvestition von beinahe einer Milliarde Euro, wenn man Vollzeitbeschäftigte zum Vergleich heranzieht. Ein Wert, der aber von den Mitwirkenden der Öffentlichkeit frei bereitgestellt werde, womit der Aufwand für eine wiederholte Entwicklung eingespart werde
Je kleiner ein Unternehmen ist, desto größer ist im Vergleich seine Investition in Open Source, so die Studie weiter. Firmen mit höchstens 50 Mitarbeitern stellen demnach fast die Hälfte der Beiträge bereit. Mehr als 50 Prozent der Beitragenden sind im IT-Bereich beschäftigt. In der EU insgesamt haben acht Prozent aller in der IT-Branche Beschäftigten an der Entwicklung von Open-Source-Produkten mitgewirkt. Eine starke Beteiligung kommt auch von solchen Unternehmen, die freiberuflichen, wissenschaftlichen oder technischen Tätigkeiten nachgehen, stellt die Untersuchung weiter fest.
Das Attraktive an der freien Software
Wie Knut Blind vom ISI erläutert, ist für die Beitragenden das Reizvolle an der Open Source vor allem die Herausforderung, technologische Lösungen für Probleme zu finden und allgemein die Entwicklung der Technik voranzutreiben. Auch sei es ihnen wichtig, Abhängigkeiten von einzelnen Herstellern vermeiden, Wissen zu schaffen und dieses Wissen mit anderen zu teilen.
Vorteile seien, so die Beteiligten, vor allem offene Standards, Interoperabilität und ein einfacherer Zugang zu Code. Die Erstellung von Software mit weniger Fehlern sei wichtiger als finanzielle Ersparnisse. Dennoch, erklärt Blind, sei die Kapazität der Open Source, die totalen Kosten beispielsweise im öffentlichen Sektor zu senken und gleichzeitig die digitale Unabhängigkeit zu fördern, groß. Offene Software könne zum Beispiel auch beim Klimaschutz einen wichtigen Beitrag leisten. Das wirtschaftliche Potenzial sei längst noch nicht ausgeschöpft, so Blind.
Ratschläge für die Politik
Insgesamt enthält die Studie mehr als 30 Empfehlungen für die Politik. Sachiko Muto vom OpenForum erklärt etwa, die Europäische Kommission solle sich starker für die Koordination einsetzen, hierzu ein eigenes Netzwerk schaffen und auf diese Weise das neue Ökosystem stärken. Open-Source-Gemeinschaften sollten verstärkt in europäische Leitlinien zu Forschung und Innovation eingebunden werden, etwa beim Green Deal oder beim Rahmenprogramm Horizont Europa. Förderrichtlinien müssten besser auf kleine und neue Firmen ausgerichtet werden.
Die OpenSource-Chefin empfahl weiter, für die Entwickler die Haftungsrisiken zu verringern und die Nutzer von Open Source besser zu schützen und auf diese Weise die Rechtssicherheit aller Beteiligten zu erhöhen. Wegen der Bedeutung des Sektors müsse die öffentliche Hand Beschaffungsrichtlinien vermehrt auf Open Source ausrichten. Aufgrund des Fachkräftemangels im IT-Bereich reiche es zudem nicht aus, Klassen nur mit Tablets auszustatten. Die Schüler sollten auch das Programmieren erlernen.
Die Wichtigkeit hat mittlerweile auch die Politik selbst erkannt. EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton sieht bei der freien Software eine große Erfolgsgeschichte. Die besten Hochleistungscomputer würden mit Open Source betrieben, Linux sei ein Erfolg im Internet. Viele Unternehmen investierten in offenen Quelltext. Im Sinne technologischer Unabhängigkeit müssten die Vorzüge für die Bürger, die Gesellschaft insgesamt und die öffentliche Verwaltung noch stärker herausgestellt werden. Auch für die Entwicklung der Künstlichen Intelligenz sei Open Source ein wichtiger Ansatz.